Steffi's Reviews > Als ich im Sterben lag
Als ich im Sterben lag
by
by

Eine arme Farmersfrau stirbt. Ihr Mann, ihre vier Söhne und ihre Tochter machen sich auf, ihrem letzten Wunsch entsprechend, sie in der Stadt zu begraben, aus der sie stammt. Da es gerade stark regnet, ist dieser Wunsch nur schwer umzusetzen.
Die Geschichte spielt in Faulkners fiktiver Landschaft Yoknapatawpha (Mississippi), die in so vielen seiner Bücher nach und nach mit Geschichten und Familien bevölkert wird. Hier werden am Rande zudem die Snopes erwähnt, denen Faulkner eine ganze Trilogie gewidmet hat.
Doch es ist nicht in erster Linie die Handlung, die den Leser in den Bann zieht. Es ist die Art des Schreibens, wie schon in Absalom, Absalom!. Nur allmählich setzt sich nämlich die Geschichte zusammen, werden die Charaktere sichtbarer durch die vielen Stimmen, die ihre Eindrücke, ihre Gedanken vermitteln: Da ist einmal die Familie Bundren inklusive der sterbenden/toten Addie. Da ist die Nachbarsfamilie Tull, weitere Nachbarn, ein Priester, ein Arzt. Jeder hat seine eigene Sprache, seine eigene Philosophie, wenn man so will. Die Charaktere bleiben geheimnisvoll und spröde, und gleichzeitig gewähren uns ihre Gedanken an einzelnen Stellen Einblick in ihr Innerstes. Wir empfinden Grauen, Wut, Hoffnungslosigkeit, Mitgefühl. Faulkner benutzt auch hier die Technik des Stream of Consciousness. Dass manche Szenen, manche Gedanken unmöglich sind, dass der Stil der Gedanken für wenig gebildete Farmer kaum wahrscheinlich ist � das hat mich beim Lesen nicht weiter gestört.
Was einen beeindruckt ist die Vielstimmigkeit, die Atmosphäre, diese unglaubliche Mischung aus Armut, Hoffnungslosigkeit (da hilft es auch nichts, dass einer der Handlungsorte New Hope heißt), Einsamkeit (obwohl so viele auf engem Raum zusammenleben) und grenzenlosem Stolz. Beim Sohn Jewel ist es immer wieder dieser Stolz, der einen berührt � ein Stolz, der ihm den Ruf einbringt, seine Mutter nicht zu lieben; ein Stolz, der mit der Zeit vergessen lässt, dass er gerade zu Beginn auch lächerlich beschrieben wird. Seine Mutter, nicht weniger stolz, beharrt in ihrer Ehe lange auf eine Art Alleinsein. Und gegenüber der gottesfürchtigen Nachbarin verteidigt sie ihre Vorstellung von Sünde und Sühne, die ihr den Vorwurf der Eitelkeit einbringt. Gerade in dieser Episode hatte ich den größten Respekt vor Addie.
Es gibt Geheimnisse, die nur sukzessive aufgedeckt werden und man muss schon sehr aufmerksam lesen, um die frühen Hinweise nicht zu überlesen: Addie hat ein großes Geheimnis, ihre Tochter Dewey Dell ebenfalls. Warum eigentlich nur die Frauen?
Groteske Grausamkeit wird in diesem Roman beschrieben: Was alles mit dem Sarg und der darin liegenden Toten passiert, lässt einen oft schaudern. Die Armut und wohl auch die Gier des Vaters treibt zwei Söhne von der sterbenden Mutter weg. Der Vater will zwar den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen, denkt aber meist an die ersehnten neuen Zähne. Irgendwie beschädigt sind am Ende dieser morbiden Reise (fast) alle Familienmitglieder.
Die Langsamkeit der Ereignisse steht der Spannung, die man empfindet, nicht entgegen. Die glücklose Überquerung eines Flusses, der Hochwasser führt, schlägt einen in Bann. Und es handelt sich nur um einen der ersten Rückschläge auf dieser tagelangen, quälenden Reise. Und das Ende bringt dann noch eine Überraschung.
Mir hat das außerordentlich gut gefallen. Es ist der dritte Roman von Faulkner, den ich gelesen habe, und noch immer ist Absalom, Absalom! für mich Faulkners Meisterwerk. Doch während Licht im August konventioneller (aber ebenfalls gut!) erzählt ist, handelt es sich auch bei Als ich im Sterben lag um eine höchst ungewöhnliche Erzählweise.
Die Geschichte spielt in Faulkners fiktiver Landschaft Yoknapatawpha (Mississippi), die in so vielen seiner Bücher nach und nach mit Geschichten und Familien bevölkert wird. Hier werden am Rande zudem die Snopes erwähnt, denen Faulkner eine ganze Trilogie gewidmet hat.
Doch es ist nicht in erster Linie die Handlung, die den Leser in den Bann zieht. Es ist die Art des Schreibens, wie schon in Absalom, Absalom!. Nur allmählich setzt sich nämlich die Geschichte zusammen, werden die Charaktere sichtbarer durch die vielen Stimmen, die ihre Eindrücke, ihre Gedanken vermitteln: Da ist einmal die Familie Bundren inklusive der sterbenden/toten Addie. Da ist die Nachbarsfamilie Tull, weitere Nachbarn, ein Priester, ein Arzt. Jeder hat seine eigene Sprache, seine eigene Philosophie, wenn man so will. Die Charaktere bleiben geheimnisvoll und spröde, und gleichzeitig gewähren uns ihre Gedanken an einzelnen Stellen Einblick in ihr Innerstes. Wir empfinden Grauen, Wut, Hoffnungslosigkeit, Mitgefühl. Faulkner benutzt auch hier die Technik des Stream of Consciousness. Dass manche Szenen, manche Gedanken unmöglich sind, dass der Stil der Gedanken für wenig gebildete Farmer kaum wahrscheinlich ist � das hat mich beim Lesen nicht weiter gestört.
Was einen beeindruckt ist die Vielstimmigkeit, die Atmosphäre, diese unglaubliche Mischung aus Armut, Hoffnungslosigkeit (da hilft es auch nichts, dass einer der Handlungsorte New Hope heißt), Einsamkeit (obwohl so viele auf engem Raum zusammenleben) und grenzenlosem Stolz. Beim Sohn Jewel ist es immer wieder dieser Stolz, der einen berührt � ein Stolz, der ihm den Ruf einbringt, seine Mutter nicht zu lieben; ein Stolz, der mit der Zeit vergessen lässt, dass er gerade zu Beginn auch lächerlich beschrieben wird. Seine Mutter, nicht weniger stolz, beharrt in ihrer Ehe lange auf eine Art Alleinsein. Und gegenüber der gottesfürchtigen Nachbarin verteidigt sie ihre Vorstellung von Sünde und Sühne, die ihr den Vorwurf der Eitelkeit einbringt. Gerade in dieser Episode hatte ich den größten Respekt vor Addie.
Es gibt Geheimnisse, die nur sukzessive aufgedeckt werden und man muss schon sehr aufmerksam lesen, um die frühen Hinweise nicht zu überlesen: Addie hat ein großes Geheimnis, ihre Tochter Dewey Dell ebenfalls. Warum eigentlich nur die Frauen?
Groteske Grausamkeit wird in diesem Roman beschrieben: Was alles mit dem Sarg und der darin liegenden Toten passiert, lässt einen oft schaudern. Die Armut und wohl auch die Gier des Vaters treibt zwei Söhne von der sterbenden Mutter weg. Der Vater will zwar den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen, denkt aber meist an die ersehnten neuen Zähne. Irgendwie beschädigt sind am Ende dieser morbiden Reise (fast) alle Familienmitglieder.
Die Langsamkeit der Ereignisse steht der Spannung, die man empfindet, nicht entgegen. Die glücklose Überquerung eines Flusses, der Hochwasser führt, schlägt einen in Bann. Und es handelt sich nur um einen der ersten Rückschläge auf dieser tagelangen, quälenden Reise. Und das Ende bringt dann noch eine Überraschung.
Mir hat das außerordentlich gut gefallen. Es ist der dritte Roman von Faulkner, den ich gelesen habe, und noch immer ist Absalom, Absalom! für mich Faulkners Meisterwerk. Doch während Licht im August konventioneller (aber ebenfalls gut!) erzählt ist, handelt es sich auch bei Als ich im Sterben lag um eine höchst ungewöhnliche Erzählweise.
Sign into Å·±¦ÓéÀÖ to see if any of your friends have read
Als ich im Sterben lag.
Sign In »
Reading Progress
April 3, 2018
– Shelved as:
to-read
April 3, 2018
– Shelved
August 8, 2018
–
Started Reading
August 11, 2018
–
31.64%
"Langsam kristallisieren sich die einzeln Charaktere heraus. Die Sprache ist beeindruckend."
page
81
August 11, 2018
–
50.0%
"Die Beschreibung von Jewels Schlafkrankheit lässt mich kurz innehalten und schafft einen guten Übergang zu ein paar Seiten bei Moshfegh..."
page
128
August 11, 2018
–
69.53%
"Wer denkt, Faulkner wäre deprimierend, hat diesen Moshfegh noch nicht gelesen. Es gibt da immer wieder Szenen, die mich an American Psycho denken lassen. Und doch geht ein Sog davon aus."
page
178
August 12, 2018
– Shelved as:
genres-southern_gothic
August 12, 2018
–
Finished Reading
Comments Showing 1-9 of 9 (9 new)
date
newest »

message 1:
by
Ilse
(new)
-
rated it 5 stars
Aug 12, 2018 04:12AM

reply
|
flag

But I think, in this case, women have secrets, because they're not allowed to do things, which men can do openly and without regrets.



Ich denke noch über die 5 Sterne nach, wollte aber etwas Abstand zu Absalom, Absalom lassen.
