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Steffi's Reviews > Als ich im Sterben lag

Als ich im Sterben lag by William Faulkner
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it was amazing
bookshelves: genres-southern_gothic

Eine arme Farmersfrau stirbt. Ihr Mann, ihre vier Söhne und ihre Tochter machen sich auf, ihrem letzten Wunsch entsprechend, sie in der Stadt zu begraben, aus der sie stammt. Da es gerade stark regnet, ist dieser Wunsch nur schwer umzusetzen.

Die Geschichte spielt in Faulkners fiktiver Landschaft Yoknapatawpha (Mississippi), die in so vielen seiner Bücher nach und nach mit Geschichten und Familien bevölkert wird. Hier werden am Rande zudem die Snopes erwähnt, denen Faulkner eine ganze Trilogie gewidmet hat.

Doch es ist nicht in erster Linie die Handlung, die den Leser in den Bann zieht. Es ist die Art des Schreibens, wie schon in Absalom, Absalom!. Nur allmählich setzt sich nämlich die Geschichte zusammen, werden die Charaktere sichtbarer durch die vielen Stimmen, die ihre Eindrücke, ihre Gedanken vermitteln: Da ist einmal die Familie Bundren inklusive der sterbenden/toten Addie. Da ist die Nachbarsfamilie Tull, weitere Nachbarn, ein Priester, ein Arzt. Jeder hat seine eigene Sprache, seine eigene Philosophie, wenn man so will. Die Charaktere bleiben geheimnisvoll und spröde, und gleichzeitig gewähren uns ihre Gedanken an einzelnen Stellen Einblick in ihr Innerstes. Wir empfinden Grauen, Wut, Hoffnungslosigkeit, Mitgefühl. Faulkner benutzt auch hier die Technik des Stream of Consciousness. Dass manche Szenen, manche Gedanken unmöglich sind, dass der Stil der Gedanken für wenig gebildete Farmer kaum wahrscheinlich ist � das hat mich beim Lesen nicht weiter gestört.

Was einen beeindruckt ist die Vielstimmigkeit, die Atmosphäre, diese unglaubliche Mischung aus Armut, Hoffnungslosigkeit (da hilft es auch nichts, dass einer der Handlungsorte New Hope heißt), Einsamkeit (obwohl so viele auf engem Raum zusammenleben) und grenzenlosem Stolz. Beim Sohn Jewel ist es immer wieder dieser Stolz, der einen berührt � ein Stolz, der ihm den Ruf einbringt, seine Mutter nicht zu lieben; ein Stolz, der mit der Zeit vergessen lässt, dass er gerade zu Beginn auch lächerlich beschrieben wird. Seine Mutter, nicht weniger stolz, beharrt in ihrer Ehe lange auf eine Art Alleinsein. Und gegenüber der gottesfürchtigen Nachbarin verteidigt sie ihre Vorstellung von Sünde und Sühne, die ihr den Vorwurf der Eitelkeit einbringt. Gerade in dieser Episode hatte ich den größten Respekt vor Addie.

Es gibt Geheimnisse, die nur sukzessive aufgedeckt werden und man muss schon sehr aufmerksam lesen, um die frühen Hinweise nicht zu überlesen: Addie hat ein großes Geheimnis, ihre Tochter Dewey Dell ebenfalls. Warum eigentlich nur die Frauen?

Groteske Grausamkeit wird in diesem Roman beschrieben: Was alles mit dem Sarg und der darin liegenden Toten passiert, lässt einen oft schaudern. Die Armut und wohl auch die Gier des Vaters treibt zwei Söhne von der sterbenden Mutter weg. Der Vater will zwar den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen, denkt aber meist an die ersehnten neuen Zähne. Irgendwie beschädigt sind am Ende dieser morbiden Reise (fast) alle Familienmitglieder.

Die Langsamkeit der Ereignisse steht der Spannung, die man empfindet, nicht entgegen. Die glücklose Überquerung eines Flusses, der Hochwasser führt, schlägt einen in Bann. Und es handelt sich nur um einen der ersten Rückschläge auf dieser tagelangen, quälenden Reise. Und das Ende bringt dann noch eine Überraschung.

Mir hat das außerordentlich gut gefallen. Es ist der dritte Roman von Faulkner, den ich gelesen habe, und noch immer ist Absalom, Absalom! für mich Faulkners Meisterwerk. Doch während Licht im August konventioneller (aber ebenfalls gut!) erzählt ist, handelt es sich auch bei Als ich im Sterben lag um eine höchst ungewöhnliche Erzählweise.
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Reading Progress

April 3, 2018 – Shelved as: to-read
April 3, 2018 – Shelved
August 8, 2018 – Started Reading
August 9, 2018 –
page 29
11.33%
August 11, 2018 –
page 81
31.64% "Langsam kristallisieren sich die einzeln Charaktere heraus. Die Sprache ist beeindruckend."
August 11, 2018 –
page 128
50.0% "Die Beschreibung von Jewels Schlafkrankheit lässt mich kurz innehalten und schafft einen guten Übergang zu ein paar Seiten bei Moshfegh..."
August 11, 2018 –
page 178
69.53% "Wer denkt, Faulkner wäre deprimierend, hat diesen Moshfegh noch nicht gelesen. Es gibt da immer wieder Szenen, die mich an American Psycho denken lassen. Und doch geht ein Sog davon aus."
August 11, 2018 –
page 128
50.0%
August 11, 2018 –
page 148
57.81%
August 12, 2018 – Shelved as: genres-southern_gothic
August 12, 2018 – Finished Reading

Comments Showing 1-9 of 9 (9 new)

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Ilse Exquisite review, Steffi (also a good reminder I have to read Absalom Absalom) and a poignant question why only the women have secrets - maybe because that is all what they have to themselves in that bleak world this family lives in? I particularly liked Faulkner's polyphony of voices, it is still one of my favourite books.


Steffi Thank you, Ilse.
But I think, in this case, women have secrets, because they're not allowed to do things, which men can do openly and without regrets.


Ilse True, evidently, as was (and sadly still is in many places in the world) the case. I still think of those teeth of Anse, how wry towards Dewey Dell..


message 4: by Michael (new) - added it

Michael Bei all meinen Vorbehalten gegen Faulkner: eine tolle Review, Steffi!


Lisa Wunderbar beschrieben, Steffi! Und jetzt muss ich Absalom, Absalom erst recht lesen. Ich bin auch der Meinung, dass Frauen Geheimnisse bewahr(t)en, weil die Konsequenz der Entdeckung fatal wäre. Die Lebenswahl ist eingeschränkter, aber die Lebenslust ist gleich.


Semjon Schöne Rezension, die sich fast nur 5 Sternen liest. Bislang kann ich die Meinung absolut teilen.


Steffi Semjon wrote: "Schöne Rezension, die sich fast nur 5 Sternen liest. Bislang kann ich die Meinung absolut teilen."

Ich denke noch über die 5 Sterne nach, wollte aber etwas Abstand zu Absalom, Absalom lassen.


message 8: by Gavin (new)

Gavin Armour Schöne Rezension. AS I LAY DYING war einst das Buch, das mich zu Faulkner gebracht hat. Und er hat mich nicht mehr losgelassen. Mittlerweile mag er etwas überholt sien - inhaltlich. Formal halte ich ihn selbst heute noch für einen Modernen, also auch für uns Heutige modern.


Steffi Ja, es sind doch 5 Sterne 🤔


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